Warum wir eine bessere Zukunft nicht wegscrollen können
Soziale Medien bieten heute einen digitalen Raum, um sich über das Weltgeschehen zu informieren, zu vernetzen und Ressourcen zu aktivieren. Doch die gängigen Plattformen stossen hierbei an ihre Grenzen, da sie nicht primär auf solche Aktivitäten ausgerichtet sind.
Keine Macht der Gewohnheit
Forschungen der Yale Universität zeigen, dass Social-Media-Posts, die moralische Empörung auslösen, zumeist mit Likes und Kommentaren „belohnt“ werden (Yale News, 2021). Durch Shock-Value entstehen mehr Reposts, Kommentare und Reaktionen und machen solche Posts somit „trending”. Auch in der analogen Welt würden wir vermutlich eher auf Schockierendes reagieren, doch in der digitalen Welt scrollen wir weiter, wenn es uns zu viel wird.
Doch die Belohnung von Shock-Value ist ein gefährlicher digitaler Prozess: Einerseits werden so Stereotypisierungen und Unvollständigkeit gefördert. Gleichzeitig gewöhnen wir uns an die Narrative von wiederholenden Missständen und dies kann zu einer Abstumpfung führen.
Gerade weil Algorithmen die Sichtbarkeit unsere Posts beeinflussen, stehen wir vor einem Dilemma: Braucht mein Post Shock-Value, damit er überhaupt sichtbar ist?
Wir alle kennen virale Videos, die Ungerechtigkeiten und Verbrechen dokumentieren — was historisch und zur Aufbereitung von Fällen essenziell ist. Dennoch müssen wir uns fragen: Muss ich mehr schockieren, damit ich genug Menschen erreiche? Und sehe ich aufgrund meines personalisierten Feeds nur das, was besonders schockierend ist? Der schnelle Switch zwischen Krieg, Werbung, Hunger, Fashion und Memes lässt sich emotional und kognitiv kaum verarbeiten. Das Thema, dem eine gewisse Not zugesprochen wird, geht in der Flut und Variation anderer Posts schlichtweg unter oder wird durch die Gewohnheit an solche Bildwelten verharmlost. Nicht alle derartigen Posts führen zu Stereotypisierungen und Verharmlosung. Doch wenn sie es tun, tragen sie langfristig zum Problem und nicht zur Lösung bei.
Trigger Warnung:
Ein Beispiel davon ist das virale Video des Mordes an George Floyd durch den Polizeibeamten Derek Chauvin im Jahr 2020. Obgleich das Video zu Recht für grossen Aufruhr und die entsprechende Aufarbeitung des Falles gefördert hat, ist es von enormer Wichtigkeit, dass wir uns als Gesellschaft fragen: Müssen wir sehen, wie ein weiterer schwarzer Mann in aller Öffentlichkeit ermordet wird, um zu erkennen, dass ein Rassismusproblem herrscht? Welche Zumutung ist solcher Content für Betroffene und Angehörige? Und führt das Kursieren solcher Inhalte zu einer Gewöhnung und Stereotypisierungen von schlimmen Vergehen, die Menschen mit Marginalisierungserfahrung zustossen? Das besagte Video ist auf mehreren Ebenen tragisch: Für den Fall und den Verlust dieses Menschenlebens, aber auch für unsere Gesellschaft, die erst durch brutale Bildwelten auf die systemische Ungerechtigkeit und Unterdrückung aufmerksam wird — und dann im schlimmsten Fall auch wieder zurückkehrt auf andere Posts im endlosen Feed.
Menschen, die vor Ort ein Geschehen dokumentieren, leisten journalistische und historisch relevante Arbeit, die der Rest der Welt sehen muss, um zu handeln. Da diese Arbeit jedoch heute von einer breiten Masse in den Sozialen Medien skaliert wird, ist es wichtig, dass wir uns fragen: Wie mache ich auf ein Problem aufmerksam, ohne die Würde der Betroffenen und Angehörigen zu verletzen? Auf Plattformen, die primär auf Werbung, Verkauf und Datensammlung ausgerichtet sind, kommen wir ohne Shock-Value nicht weit. Die Sozialen Medien, die wir heute nutzen, führen dazu, dass Menschen mit Marginalisierungserfahrung instrumentalisiert werden, um eine Aussage zu vertreten. Dies können wir nicht verantworten.
Es braucht deshalb einen ehrlichen, transparenten Ort in der digitalen Welt — jenseits von Hashtag-Aktivismus und Marketing-Motivationen. Einen Ort, an dem wir auf die Probleme dieser Welt aufmerksam werden, aber vor allem auf die Lösungen, für die es noch nicht zu spät ist. Einen Ort, wo wir handlungsfähig und konstruktiv werden. Und einen Ort, an dem nicht das Individuum mit persönlichen Statements im Zentrum steht, sondern die Community von Betroffenen und Helfenden, die die Würde und Rechte von Betroffenen schützt.
Influencers behind the Scenes
In der Schweiz arbeiten über 40 % der Bevölkerung ab 15 Jahren auf Freiwilligenbasis. Egal welches Thema uns berührt — irgendwo in der Schweiz setzen sich Leute dafür ein — darunter viele, die lange vor dem Social-Media-Boom aktiv waren.
Auf den ersten Blick nehmen wir dieses Engagement kaum wahr. Sobald wir diese Arbeit jedoch wegdenken, sehen wir riesige Lücken, die von Freizeitangeboten bis hin zur humanitären Hilfe reichen. Im Jahr 2021 hat die Bevölkerung in der Schweiz über 2 Milliarden Franken gespendet. Freiwillige in der Schweiz arbeiten im Durchschnitt pro Monat über 25 Stunden (Universität Basel, Philanthropie in Zahlen). Ohne dieses Engagement würde die Lebensqualität aller Menschen in unserer Gesellschaft sinken, denn wir stünden vor Problemen, von denen grössere Bevölkerungsgruppen direkt betroffen wären.
Freiwilligenarbeit ist tatsächlich sichtbar und spürbar. Diese Arbeit leistet einen Beitrag zu Frieden, Stabilität, Vertrauen, Sicherheit und Nothilfe. Wir könnten diese Freiwilligen Influencers of Society nennen. Es gibt keinen Grund, solche gesellschaftlichen Influencer:innen nicht zu unterstützen.
A Perfect Match
Es ist an der Zeit, das Beste aus dem gesellschaftlichen und technologischen Fortschritt zu kombinieren: Soziale Medien bieten, wie der Name schon sagt, Möglichkeiten sich zu verbinden und zu informieren. Wir alle brauchen Community, Freunde und Familie. Wir alle brauchen Sichtbarkeit und Stimmen. Wir alle müssen auf andere aufmerksam werden. Wir alle haben den Drang, zu kommunizieren und zu teilen. Zu kreieren, gestalten und sich gegenseitig zu unterstützen. Auch wenn solche Worte zunächst einen kitschigen Klang haben, sind es solche Verbindungen, Bedürfnisse und Zusammenkünfte, die uns Menschen lebensfähig, resilient und würdevoll machen.
Auf diesen Werten aufbauend ist die Plattform Plentii entstanden: Eine Plattform, auf der wir nicht von Werbung und Produkten überflutet werden. Eine Plattform, die nicht auf Datensammlung ausgelegt ist. Eine Plattform, die dem Begriff Social Media eine neue Frische verleiht: Ein soziales Medium, das uns hilft, sozial zu denken und zu handeln. Eine Plattform, die Communities wachsen lässt, Erfolgserlebnisse gemeinsam zelebriert und transparent informiert und dokumentiert. Eine Plattform, die spezifisch darauf ausgerichtet ist, gemeinsam eine wünschenswerte Zukunft zu gestalten.
The Big Picture is made of Small Pieces
Das Big Picture einer wünschenswerten Zukunft ist jedoch ein Puzzle: Wenn wir dieses neue Bild schaffen wollen, müssen wir dort die Lücken schliessen, wo es uns braucht. Während wir ergänzt werden, ergänzen wir andere. Aber auch umgekehrt; denn wo wir fehlen, entstehen Lücken: Ein Crowdsourcingziel wird nicht erfüllt, ein Hilfspaket kommt nicht an, eine Mahlzeit fehlt, der Sprachkurs oder das Fussballturnier finden nicht statt, die Krankheit kann nicht behandelt werden. Im Gegensatz zu einem Puzzle sind die Folgen dieser Lücken gravierend: Menschen, die Hilfe benötigen, zahlen mit ihren Rechten, ihrer psychischen und körperlichen Gesundheit, ihrer Sicherheit, ihrem Dach über dem Kopf oder sogar mit ihrem Leben.
Das Individuum im Kollektiv
In einer primär individualistischen Gesellschaft tendieren wir auch primär zu individualistischen Problemlösungen. Wenn wir etwas unternehmen wollen, verändern wir unser Konsumverhalten oder nehmen Stellung auf Social Media. Doch dies reicht nicht aus. Die meisten Probleme von heute sind komplex und vernetzt — und somit nicht individueller Natur. Wir müssen deshalb auch lernen, unsere Kräfte zu vereinen und uns dort anzuschliessen, wo bereits Engagement geleistet wird.
Gerade wenn wir Probleme primär mit individualistischen Ansätzen zu lösen versuchen, geraten wir schnell in eine Situation der Überforderung: Was sollen wir essen, tragen, kaufen, unterstützen und sagen — und was nicht? Auch wir sind überfragt. Und egal, wie wir uns positionieren — die gefühlte Ungerechtigkeit scheint auf allen Seiten präsent. Doch die Organisationen, Vereine und Projekte, die auf der Plattform vertreten sind, haben Antworten und vor allem Handlungen gefunden: Sie alle bieten unterschiedliche Lösungsansätze an, die ein Problem lösen oder zumindest nicht weiter verschärfen. Es braucht all diese Organisationen, solange die komplexen Probleme unserer Zeit existieren.
Nehmen wir beispielsweise die Klimakrise: Sie hat sich über Jahrzehnte verschärft und in kleinen und grossen Schritten verschiedenste Arten von Schäden verursacht. Sie ist nicht greifbar und lässt sich nicht an einer einzigen Wurzel packen und beseitigen, da sie von unzähligen Faktoren beeinflusst wird. Die „Lösung“ dieser Klimakrise muss deshalb genauso vielfältig sein, wie die Faktoren, die zu diesem Problem geführt haben: Es gibt Menschen, die sich für den Erhalt der Regenwälder einsetzen. Andere finden Lösungsansätze mit veganem Essen. Wieder andere reduzieren Foodwaste. Alles zählt.
Wir kommen nicht darum herum, zusammenzuarbeiten und dürfen die grossen Visionen einer besseren Welt nicht wegscrollen. Und wir müssen uns nicht immer über jedes Detail einig sein, um uns vereinen zu können. Bei Plentii wagen wir das, was andere Plattformen nicht tun: Wir verschieben unsere Scheinwerfer von Selbstinszenierung, Werbung und Empörung auf die Dinge, die Sichtbarkeit verdienen: Konstruktive Lösungen, ein Gefühl der Verbundenheit und neues Vertrauen in die Gesellschaft. Die Soziale Plattform der Zukunft ist heute schon da. Doch ohne Dich bleibt sie ein unvollständiges Puzzle. Jedes Profil und jede Aktivität schliesst jedoch eine Lücke — für eine wünschenswerte Zukunft, in der Soziale Medien uns sozialer machen.
Autorin: Bamna Dadashzadeh